Ringvorlesung 2023

2023

Bez popisku

Ringvorlesung - Sprache und (Fremd-)Sprach(en)didaktik zwischen Konventionalität und Kreativität


Mittwoch, 18 bis 20 Uhr - Raum D21, FF MU, A. Nováka 1
Beginn: 20. September 2023

Programm-Flyer (pdf)

Dass Sprache beständig in Bewegung ist, rückt angesichts der rasanten Entwicklung digitaler Medien, globaler Verflechtungen und der Faktizität sprachlich vielheitlicher Gesellschaften, die als Motor sprachlicher Veränderung wirken, zunehmend ins Bewusstsein. Die zunehmende Entgrenzung von Sprach- und Kommunikationsräumen und medial vielstimmig ausgetragene Kämpfe um Deutungen und Deutungshoheit, die die (Sprach-)Erfahrungen von Lerner*innen heute in nachhaltiger Weise prägen, stellt auch die Fremdsprach(en)didaktik vor neue Herausforderungen. Dementsprechend haben in den letzten Jahren in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Themen wie die Ausbildung multimedialer und -literaler Kompetenzen, die Potentiale und Implikationen gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit, die didaktische Berücksichtigung von Sprachvariationen und gesellschaftlicher Diversität und die Frage nach sprachpolitischen Ungleichgewichten und gesellschaftlicher Teilhabe in der sprachdidaktischen Fachdebatte zunehmend an Gewicht gewonnen. Weniger Aufmerksamkeit hat dagegen im Fach bisher die grundlegende Frage nach dem Verhältnis von Konventionalität und Innovativität, von Norm und Normüberschreitung, von Nachahmung und Kreativität mit Blick auf Sprache und deren Vermittlung und Aneignung gefunden, die in vielfältiger Weise mit diesen Themen verknüpft ist. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sprachliche Regeln und Konventionen die Grundlage sprachlicher Verständigung bilden, verwundert es nicht, dass der Einübung und Automatisierung sprachlicher und kommunikativer Muster im Fremdsprachenunterricht traditionell ein zentraler Stellenwert zukommt. Die einheitliche Regularisierung und Standardisierung von Sprachen liegt aber letztlich nicht in der Natur von Sprache begründet, sondern ist entscheidend an das Konzept der Nationalsprachen gebunden. Kreative Sprachverwendung wurde im Zuge dieser Entwicklung mit dem Bereich der Literatur identifiziert, deren Sprache zudem als Abweichung von den Formen alltäglicher Sprachverwendung klassifiziert wurde. Dass die Fremdsprach(en)didaktik einen einseitigen Fokus auf konventionelle Formen der Sprachverwendung legt, gilt deshalb nicht nur für überkommene Formen eines primär grammatikbezogenen Fremdsprachenunterrichts und die auf die Automatisierung vorgegebener kommunikativer Muster hin ausgelegten Drillübungen der audiolingualen Methode, sondern auch für die aktuelle Praxis des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Denn auch er ist – trotz seines programmatischen Anspruchs, die reale Vielfalt sprachlichen Handelns zur Grundlage der Sprachvermittlung zu machen – auf die Vermittlung konventioneller Formen der Sprachverwendung ausgerichtet, ohne den Lerner*innen Spielräume für kreatives sprachliches Handeln einzuräumen: Dies betrifft sowohl die Tendenz zur Kanonisierung feststehender sprachlicher Handlungssituationen im Übergang von der breiten Sammlung im Europäischen Referenzrahmen für Sprachen zur weitgehend vereinheitlichten Auswahl in aktuellen Fremdsprachenlehrwerken und die Standardisierung (vermeintlich) authentischer Sprachverwendung in Lehrwerkstexten und -dialogen im Dienste ihrer Vermittelbarkeit, wie die Idee der Transparenz, Eindeutigkeit und Stabilität kommunikativer Routinen (vgl. Dobstadt 2020). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Input in der realen Welt heute „inordinately complex“ (Kramsch 2006: 251) geworden ist, scheint es nun aber dringend geboten, Fremdsprachenunterricht – anstelle einer einseitigen Privilegierung vermeintlich standardisierter Formen der Sprachverwendung – stärker als bisher im Spannungsfeld von Konventionalität und Kreativität zu verorten und von dorther neu zu denken. Möglichkeiten dazu sollen in der Ringvorlesung aus verschiedenen Perspektiven näher beleuchtet werden.

 

Link für die Online-Teilnahme:

https://cesnet.zoom.us/j/96778871552?pwd=a3d4KzF5NndVek5acVFsendYUVRGZz09

Meeting ID: 967 7887 1552

Passcode: 091736

Organisation: Renate Riedner, Professur für Deutsch-Didaktik Institut für Germanistik, Nordistik und Niederlandistik, Philosophische Fakultät

Masarykova univerzita · Filozofická fakulta · A. Nováka 1, 602 00 Brno
Tel.: + 420 549 49 1546 · e-mail: riedner@mail.muni.cz · ugnn.phil.muni.cz

 

Vortragsprogramm:

20.09.2023 Renate Riedner, Brno || Einführung für Studierende in Brno (vor Ort)

04.10.2023 Michael Dobstadt, Dresden || Die Herausforderung der (Fremd-)Sprach(en)didaktik durch KI im Lichte des Spannungsverhältnisses zwischen Konventionalität und Kreativität (vor Ort und Online)

18.10.2023 Camilla Badstübner-Kizik, Poznan || Sprachen lehren und lernen an und mit ästhetischen Medien – Kreativität garantiert? (vor Ort und Online)

01.11.2023 İnci Dirim, Wien || Erfassung früher mehrsprachiger Literalität - ein neues Analyseinstrument (vor Ort und Online)

15.11.2023 Christiane Hochstadt, Weingarten || Sprachlich-ästhetisches Lernen im Rahmen von Sprachperformances (vor Ort und Online)D31

16.11.2023 Mitch Miller, Zeilenschmiede, Osnabrück || Die (Un)Grammatik der Kreativität. Ein Sprachabenteuer (Vortrag 10:00-12:00 und Workshop 13:00-17:00) (vor Ort; Vortrag auch Online)D41

29.11.2023 Chantelle Warner, Tucson || Sprachdidaktik und Multiliteracy Play (Live-Stream im Vorlesungsraum und Online)

13.12.2023 Hannes Schweiger, Wien || Mehr Sprache(n)! Machtkritische Perspektiven auf Sprachenlernen (vor Ort und Online)

Abstracts der Vorträge

Hannes Schweiger (Universität Wien)
Mehr Sprache(n)! Machtkritische Perspektiven auf Sprachenlernen (13.12. 2023) 
Das Lernen einer Sprache im Kontext von Mehrsprachigkeit zu betrachten, eröffnet Perspektiven, die unkonventionell erscheinen mögen: Im Wechsel und Spiel zwischen den Sprachen werden die Grenzen undeutlicher, verschwimmen und es entstehen Räume, in denen das Kreative, Uneindeutige und Normabweichende Platz finden. Wer sich auf dieses Spiel einlässt, setzt sich mit sprachlichen Normen auseinander und möglicherweise über sie hinweg. In Frage gestellt werden nicht nur sprachlichen Normen und die Norm der Einsprachigkeit, die viele Bildungssysteme dominiert, sondern auch die Instanzen, die Sprache festzuschreiben versuchen. Daher kann ein an der Mehrsprachigkeit orientierter Blick auch ein machtkritischer Blick sein, der die Prozesse der Machtausübung über und mit Sprache offenlegt und Peripheres oder Marginales in den Mittelpunkt rückt. 
In dieser Vorlesung werden machtkritische Perspektiven auf Sprache und Sprachenlernen mit Hilfe von literarischen Texten eröffnet, darunter viele mehrsprachige Texte. Geschult ist die Wahrnehmung dabei an der Redevielfalt bei Michail Bachtin, an der Feldtheorie Pierre Bourdieus und am postkolonialen Blick von bell hooks und Gayatri Chakravorty Spivak. Mehrsprachigkeitsdidaktische Konzepte wie das Translanguaging werden einbezogen, mit dem Ziel, die Prinzipien, die wir dem Sprachenlernen und Sprachenlehren zugrunde legen, aus der Perspektive der Mehrsprachigkeit zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

Ass.-Prof. Mag. Dr. Hannes Schweiger ist am Institut für Germanistik (Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache) sowie am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien tätig. Davor war er u.a. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Literaturarchiv und Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek und unterrichtete Deutsch und Englisch am BRgORg Henriettenplatz in Wien sowie Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in der Erwachsenenbildung. Er studierte Germanistik und Anglistik (Lehramt) sowie Deutsch als Fremdsprache an der Universität Wien und am University College Dublin und promovierte mit einer Dissertation über kulturelle Transferbeziehungen am Beispiel von George Bernard Shaw. Von 2017 bis 2023 war er Präsident des Österreichischen Verbands für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.
Seine Schwerpunkte sind Literatur und literarisches Lernen im DaF-/DaZ-Unterricht, kulturreflexives Lehren und Lernen, migrationspädagogische Perspektiven auf DaZ sowie sprachliche Bildung in der Schule. Zuletzt erschienen: Sandra Reitbrecht, Hannes Schweiger, Brigitte Sorger (Hrsg.) (2023). IDT 2022: *mit.sprache.teil.haben, 5 Bände. Erich Schmidt Verlag. Open Access unter: https://www.esv.info/lp/daz/idt https://www.germ.univie.ac.at/hannes-schweiger/

 


Chantelle Warner (University of Arizona) 
Sprachdidaktik und Multiliteracy Play (29.11.2023)
In den letzten Jahren haben Multiliteracy-Ansätze das Augenmerk der Zweitsprachendidaktik verstärkt auf sprachliche Vielfalt und multimodale Formen sprachlichen Ausdrucks gelenkt (z.B. Allen 2018; Paesani et al 2015; Warner/Dupuy 2018). Ein zentraler Begriff innerhalb des Multiliteracy-Ansatzes ist das "Meaning Design" (New London Group 1996; Cope & Kalantzis 2015), welches auf die Vorstellung abzielt, dass das Erlernen einer neuen Sprache in erster Linie darauf ausgerichtet ist, das Repertoire für die Darstellung und Kommunikation von Bedeutungen zu erweitern. In den Multiliteracy-Ansätzen werden Lernende als legitime Sprachnutzer betrachtet; als Ziel der Sprachdidaktik wird die Förderung von kritischen und kreativen Bedeutungsgestaltern, d.h. Meaning Designers, verstanden. Aufbauend auf diesen Diskussionen aus dem Feld wird in diesem Vortrag für eine spielerische Haltung in der Sprachdidaktik plädiert. Anhand von Beispielen aus dem postsekundären Sprachunterricht in den USA wird ein Modell des "Multiliteracy Play" vorgestellt, welches sowohl das Vorhandensein als auch die Beweglichkeit der Bedeutungsressourcen einer Sprachgemeinschaft betont (Warner 2024).

  • Allen, Heather Willis (2018): Redefining writing in the foreign language curriculum: Toward a design approach. In Foreign Language Annals 51/3, 513–532.
  • Cope, Bill and Mary Kalantzis (2015): A Pedagogy of Multiliteracies: Learning by Design. Palgrave, 2015.
  • New London Group (1996): A pedagogy of multiliteracies: Designing social futures. In Harvard Educational Review 66/ 1, 60–93.
  • Paesani, Kate, Heather Willis Allen and Beatrice Dupuy (2015): A Multiliteracies Framework for Collegiate Foreign Language Teaching. Pearson.
  • Warner, Chantelle and Dupuy, Beatrice (2018) Moving towards multiliteracies in foreign language teaching: Past and present perspectives … and beyond. In Foreign Language Annals 51/1, 116–128.
  • Warner, Chantelle (2024): Multiliteracy Play: Design and Desire in the Language Classroom. Bloomsbury.

Prof. Chantelle Warner, PhD, ist derzeit Associate Dean am College of Humanities an der University of Arizona. Dort ist sie auch Professorin für German Studies und Mitglied des interdisziplinären Programms für Second Language Acquisition and Teaching (Zweitsprachenlernen und -lehren). Sie ist Co-Direktorin für das Center for Educational Resources in Culture, Language and Literacy (CERCLL), ein nationales Sprachressourcenzentrum an der University of Arizona. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den affektiven und ästhetischen Dimensionen des Sprachgebrauchs und des Zweitsprachenlernens, auf Multiliteracies-Ansätzen, auf interkulturellem Lernen und Literarizität im Fremdsprachenunterricht und Stilistik und diskursanalytischen Methoden in der Fremd-/Zweitsprachenforschung.


Mitch Miller (Die Zeilenschmiede)
Das Land der gläsernen Menschen (16.11.2023) - pdf-Flyer - (Vortrag 10:00-12:00 und Workshop 13:00-17:00) - D41

Welche Geheimnisse warten in der Welt der gläsernen Menschen? Wie kann aus einem einfachen Spaziergang ein Abenteuer werden? Warum ist die Recherche so wichtig beim Sprachenlernen? Und wie können wir im Zeitalter der digitalen Medien diese auch nutzen? „Das Land der gläsernen Menschen“ ist ein Lernspiel, das die Klasse gemeinsam erlebt. Deutschunterricht mal anders. Von den ersten groben Skizzen einer Welt wird die Karte rund um das Land der Glasmenschen gefüllt. Die Feuermenschen entstehen im Norden, die Plastikmenschen an den Küsten. Die Papiermenschen meiden die heiße Sonne der Wüste, wohingegen die Sandmenschen … nun sind Kreativität und Sprachfreude gefragt, wenn die verschiedenen Sprachbiome erkundet werden. In 120 Minuten präsentiert Mitch die besten Übungs-Ergebnisse anhand internationaler Beispiele. Die Ergebnisse stammen aus der Arbeit mit DaF-SchülerInnen auf unterschiedlichen Sprachniveaus weltweit. Entstanden ist eine einzigartige und abenteuerliche Welt, gefüllt mit Fantasie und sprachlichen Besonderheiten. Unter dem Projekttitel „Die Welt der gläsernen Menschen“ vereint Mitch seit Jahren die Ergebnisse seiner Schreibgruppen zu einer komplexen, kreativen Fantasiewelt. Aus dieser Welt wird er erzählen.

Mitch K. Miller, Gründer von Die Zeilenschmiede, nimmt die Teilnehmenden in seinem Kurs mit auf eine Reise rund um die Welt der Sprache. Zehn Jahre arbeitete er als freier Journalist und Autor, reiste in dieser Zeit in mehr als 100 Länder, immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten. Seine Begeisterung für das Schreiben und die Literatur führten ihn schließlich dazu, sich tiefgreifender mit dem literarischen Schaffensprozess zu beschäftigen und schließlich ein System zu entwerfen, dass Schreibeinsteigern den Zugang zum kreativen Schreiben erleichtert. Dieses System ist die Grundlage für seine Arbeit mit Deutschlernenden an Schulen im Ausland. Als Berater für Bildungsfragen arbeitet er heute für Verlage und Organisationen und gibt weltweit Fortbildungen für das Goethe Institut.


Christiane Hochstadt (Pädagogische Hochschule Weingarten)
Sprachlich-ästhetisches Lernen im Rahmen von Sprachperformances (15.11.2023) - D31

Der schulische Deutschunterricht wird – das zeigt etwa eine Analyse der Bildungsstandards, der Bildungspläne sowie der Lehr-Lern-Materialien – dominiert von einem funktional orientierten Sprachbegriff (vgl. Hochstadt 2016a). Spätestens seit PISA und einer damit einhergehenden kompetenzorientierten Unterrichtsausrichtung schlägt sich diese Dominanz sowohl im sprachlichen Lernen als auch in den Bereichen Lesen und Literatur nieder. Dadurch bleibt für sprach- und literarästhetische Lernprozesse wenig Raum. Der Vortrag plädiert für eine (Re-)Fokussierung sprachlich-ästhetischen Lernens und begründet dies aus sprachtheoretischer, sprachentwicklungstheoretischer und anthropologischer Perspektive. Zunächst wird der Begriff des sprachlich-ästhetischen Lernens dargelegt und von funktional orientiertem Sprachlernen abgegrenzt. Es wird theoretisch fundiert, welche Rolle ästhetisches Erleben für Sprachaneignungsprozesse spielt. Im Anschluss wird exemplarisch das Konzept der Sprachperformance (Hochstadt 2016b) näher unter die Lupe genommen und als Methode sprachlich-ästhetischen Lernens diskutiert. Am Ende werden konkrete didaktische Überlegungen zur Stärkung sprachlich-ästhetischen Lernens im Raum Schule angestellt.

  • Hochstadt, Christiane (2016a): Von der eindeutigen Absenz der Mehrdeutigkeit – Die Dominanz eines funktionalen Sprachbegriffs im Bildungsbereich. In: Bauer, Matthias / Potysch, Nicolas (Hg.): Deutungsspielräume. Frankfurt a. M.: Lang, S. 115-135.
  • Hochstadt, Christiane (2016b): Liebesnester – Zur Inszenierung einer Performance in drei Akten mit Hauptschülern mit Deutsch als Zweitsprache. In: Theater entdecken. Deutsch 5-10, H. 47, S. 38-39.

Prof. Dr. Christiane Hochstadt: seit 2019 Professorin für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten; zuvor Vertretungsprofessorin an der TU Dortmund (2017/18) und Akademische Mitarbeiterin an der PH Heidelberg (2012-2019); von 2005-2012 Lehrerin an verschiedenen Grund- und Hauptschulen. Schwerpunkte in Lehre und Forschung: Grammatikdidaktik, Erzähldidaktik, sprachlich-ästhetisches Lernen, Sprachunterricht und Inklusion.


İnci Dirim (Universität Wien)
Erfassung früher mehrsprachiger Literalität ‒ ein neues Analyseinstrument (1. 11. 2023)

Kinder, die mit zwei oder mehreren Sprachen aufwachsen, entwickeln in diesen Sprachen Phantasie, Kreativität und Ausdrucksfähigkeiten. Diese Fähigkeiten können als frühe Formen von Literalität verstanden werden. Unter Literalität können dabei auf der einen Seite die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, die Kindern zur Verfügung stehen, betrachtet werden. Auf der anderen Seite kann darunter aber auch Literalität im Sinne von „Literarizität“ gefasst werden. Genau dieser Zusammenhang wird mit dem neuen Sprachdiagnoseverfahren „ELA – Erfassung früher mehrsprachiger Literalität in den Sprachen Türkisch, Ukrainisch, Russisch und Deutsch“ in den Blick genommen. Es geht darum, zu erfassen, welche literalen bzw. literarischen Fähigkeiten in kindlichen Schreibproben von Kindern der zweiten Primarstufenklasse zum Vorschein kommen und wie diese im Sinne von Entwicklungspotenzialen und Förderung interpretiert werden können. Weitere Besonderheiten des Instruments sind die Berücksichtigung von sprachlicher Variation und Sprachkontaktphänomenen. Der Vortrag führt mit Beispielen in das Analyseinstrument ein.

Prof. Dr. phil. İnci Dirim: Deutschlehrerin, Übersetzerin, Germanistin, Erziehungswissenschaftlerin. Studium in Ankara / Türkei und Bremen / Deutschland; Promotion 1997 an der Universität Hamburg, im Fach Erziehungswissenschaft mit einer Dissertation zum türkisch-deutschen Sprachkontakt in einer Grundschulklasse. 2003-2007 Juniorprofessorin an der Leibniz Universität Hannover (W1 Schulpädagogik); 2007-2010 Professorin an der Universität Hamburg (W2 Erziehungswissenschaft; Pädagogische Diagnostik); seit März 2010 Universitätsprofessorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien.
Inhaltliche Schwerpunkte an der Universität Wien: Deutsch als Zweitsprache, bildungswissenschaftliche Zugänge (zum Fach) und Didaktik der Mehrsprachigkeit.


Camilla Badstübner-Kizik (Adam-Mickiewicz-Universität Poznań)
Sprachen lehren und lernen an und mit ästhetischen Medien – Kreativität garantiert? (18. 10. 2023)

In der Vorlesung wird zunächst der Begriff „ästhetische Medien“ aus der Perspektive der Sprachdidaktik eingegrenzt. Vor dem Hintergrund des übergreifenden Themas der Ringvorlesung steht dabei zum einen im Fokus, dass bereits die Nutzung ästhetischer Lernimpulse und Lerninhalte vielerorts das Überschreiten konventioneller Fachgrenzen impliziert. Zum anderen wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass eben Kreativität bei der Entstehung und Rezeption ästhetischer Medien eine besonders wichtige Rolle spielt. Beide Aspekte stellen allerdings keine Garantie dafür dar, dass der Einsatz ästhetischer Medien in der Sprachdidaktik bei Lehrenden wie bei Lernenden auch tatsächlich methodische und sprachliche Kreativität auslöst. Hierzu bedarf es genauer Zielvorstellungen und eines daran angepassten konkreten methodischen Instrumentariums. Dieses wird für ausgewählte Beispiele aus den Bereichen Bildende Kunst, Musik und Film abschließend angedeutet.

Prof. Dr. habil. Camilla Badstüber-Kizik: Studium der Germanistik, Klassischen Philologie und Kunstgeschichte (FSU Jena), seit 1990 in der Aus- und Fortbildung von Lehrenden für DaF im polnischen Hochschuldienst tätig, Gastlehre u.a. in Tschechien und Ungarn, längere Lehraufenthalte an der Universität Wien (2009/2010) und der JLU Giessen (2017/2018/2019), seit 2008 Professorin am Institut für Angewandte Linguistik der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań (Lehrbereich Kultur- und Mediendidaktik), aktuelle Schwerpunkte in Forschung und Lehre im Bereich ästhetische Lehr- und Lerninhalte, kulturreflexives Lehren und Lernen, außerschulische Lernorte für Deutsch als Fremdsprache, Linguistic Landscape.

Publikationen in Auswahl

  • Der nasse Fisch im Netz? Medien und Text(sorten)netze rund um Volker Kutschers historischen Kriminalroman (2006).In: Hille, Almut; Völkel, Oliver Niels (Hrsg.): Was zu beginnen nicht aufhört. Facetten der Gegenwartsliteratur in der internationalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache, München: Iudicium, 132-149; https://www.iudicium.de/katalog/86205-735.htm (2020)
  • Kinder- und Jugendliteratur als multimedialer Exportartikel? In: Sommerfeld, Beate; Pieciul-Karmińska, Eliza; Düring, Michael (Hrsg.): Kulturelle Diversität in der Kinder- und Jugendliteratur, Berlin: Peter Lang, 109-122 (2020)
  • Erinnern, Erzählen, Visualisieren. Die Graphic Novel „Madgermanes“. In: Fremdsprache Deutsch 63 (2020), 15-21 (2020)
    Bildende Künste im Fremdsprachenunterricht: Einführung in das Themenheft, mit Tristan Lay. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 24: 2, 1–11. https://tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/index.php/zif/article/view/967/965 (2019) Linguistic
  • Landscape und Fremdsprachendidaktik. Herausgegeben von Camilla Badstübner-Kizik und Věra Janíková. Frankfurt a.M.: Peter Lang (= Posener Beiträge zur Angewandten Linguistik 10) (2018)
  • Bild- und Musikkunst im Fremdsprachenunterricht. Zwischenbilanz und Handreichungen für die Praxis, Frankfurt a. Main 2007: Peter Lang (= Fremdsprachendidaktik inhalts- und lernerorientiert 12) (2007) Fremde Sprachen – fremde Künste? Bild- und Musikkunst im interkulturellen Fremdsprachenunterricht. Das Fallbeispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen, Gdańsk 2006: Wydawnictwo Uniwersytetu Gdańskiego. https://repozytorium.amu.edu.pl/items/32548c49-b589-4db1-aa3d-620c5288efe0 (2006)

Michael Dobstadt (TU Dresden)
Die Herausforderung der (Fremd-)Sprach(en)didaktik durch KI im Lichte des Spannungsverhältnisses zwischen Konventionalität und Kreativität (4. 10. 2023)

In der Diskussion um die Folgen der KI für den Bildungsbereich wird gerne auf die Kreativität als ein grundlegendes anthropologisches Merkmal verwiesen, das durch die Künstliche Intelligenz nicht eingeholt werden könne: „Kreative Verrücktheit, jenseits von allem, was vorher dagewesen ist“, wie am 13. April 2023 die Kommunikationswissenschaftlerin und Journalistin Miriam Meckel dieses – vermeintliche oder tatsächliche – humane Unterscheidungsmerkmal in der Talkshow „Maybrit Illner“ zum Thema "Künstliche Intelligenz – Maschine gegen Mensch?" pointiert benannte. In Bildungskontexten begegnet dieser Gedanke in der Form der Empfehlung, dem kreativen, die Normen in Frage stellenden und das Konventionelle überschreitenden Umgang mit Inhalten und Sprache mehr Raum zu geben und auf diese Weise das Lehren und Lernen auf ein neues, höheres Niveau zu heben. Dieses emphatische Bekenntnis zur kreativen ‚Disruption‘ auch und gerade in Bildungskontexten konfligiert allerdings mit der offensichtlichen Fixierung der Bildungsinstitutionen – vor allem der Schule – auf (die Einübung von) Normen und (die Vermittlung von) Konventionen. Eine solche Fixierung auf Regeln und Konventionen lässt sich nun auch für den modernen kommunikativen Fremdsprachenunterricht konstatieren, insofern auch dieser sich – wenn auch weniger offensichtlich, da nicht im Zeichen der ‚Richtigkeit‘, sondern in dem der ‚Angemessenheit‘ – an sprachlichen, sozialen und ‚kulturellen‘ Normen und Konventionen der ‚Zielsprachgemeinschaft‘ orientiert. Ablesbar ist dies u.a. daran, dass im heutigen kommunikativen FSU die Literatur und das Literarische, verstanden als ein die Normen und Konventionen hinterfragender, mit ihnen spielender und sie ggf. sogar brechender kreativer Sprachgebrauch, allenfalls auf höheren Sprachniveaus – laut dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER): ab dem Niveau B2 – stattfinden, getreu dem Motto: erst die Regel (die Norm, die Konvention), dann die Ausnahme (der Regelbruch, die Normabweichung, die Unkonventionalität). Vor dem Hintergrund dieses Befundes soll in dem Vortrag die kontroverse Diskussion um die KI in der Bildung zum Anlass und Ausgangspunkt genommen werden, um zum einen mit Blick auf das (Spannungs-)Verhältnis von Kreativität und Konventionalität die Konzepte des kommunikativen FSU in Bezug auf Sprache, Spracherwerb und Sprachvermittlung kritisch zu beleuchten und neu zu justieren; und zum anderen ausgehend davon Perspektiven für einen sinnvollen und reflektierten Umgang mit KI in einem solcherart weiterentwickelten FSU zu skizzieren und zur Diskussion zu stellen.

Dr. Michael Dobstadt war als DAAD-Lektor in Spanien und danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Herder-Institut der Universität Leipzig tätig. Derzeit vertritt er die Professur für Deutsch als Fremdsprache an der TU Dresden. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Sprachbegriffe des Fremdsprachenunterrichts, Literatur und ästhetische Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Erinnerungsorte im Kontext kulturwissenschaftlich orientierter Fremdsprach(en)didaktik, Digitale Transformation des Faches DaF/DaZ aus der Perspektive einer Open Source-Didaktik, Geschichte des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Zusammen mit Dr. Renate Riedner (Masaryk-Universität, Brno) arbeitet er an einer „Didaktik der Literarizität für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“.

 


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